Die Zaubermelodie

Ein Ermutigungsmärchen von Iris

Ermutigungsmärchen von Iris

Die Zaubermelodie

Einsam stapfte sie durch den kalten nassen Schnee: „Schneller, schneller Lena. Du musst fort, weit fort von hier.“

Der Wind blies dem kleinen verschüchterten Geschöpf in das von der beißenden Kälte aufgefrorene Gesicht. Lenas Füßchen vermochten sie kaum noch fortzutragen und ihre kleinen Händchen spürte sie kaum noch. Wie erstarrt schaute sie in den aufkommenden Schneesturm.

So waren die Augen müde und matt geworden, die doch sonst so freundlich und fröhlich funkelten, dass selbst der schönste Bergkristall vor Bewunderung seine Verneigung abstatten musste.

In dem Schneegestöber kamen die Gedanken der kindlichen Verzweiflung und Angst an die Oberfläche, die auf der ziellosen Flucht lange unterdrückt worden waren.

Was war nur unvorstellbar Schreckliches passiert? Wo waren die täglich zum Gruße angetroffenen Menschen, wo die Spielkameraden, die mit ihr herumtollend die kindliche Last des Tages Vergessenmachen halfen? Was war mit den Menschen ihres heimatlichen Dörfleins geschehen, die sie in ihr Herz geschlossen hatte?

Ihre schlesische Heimat, in der sie einst so glückselig leben durfte, war vom wütenden Feind dem Erdboden gleichgemacht worden. Die brüllenden Geschütze hatten Mensch und Vieh unvermutet unter den Trümmern ihre letzte Ruhestätte bereitet.

Die Ruinen waren die stummen steinernen Zeugen einer jahrtausendealten Kultur, die ihren Lebensatem in ihnen ausgehaucht hatte.

Alles war nun Wüstenei, da die Bomben alles in Schutt und Asche gelegt hatten. Nichts war mehr wie früher, sie hatte alles verloren. Das einst so mutige, fröhlich lachende und liebe Mädchen hatte keine Hoffnung mehr. Nichts konnte sie trösten. Warum hatte der Krieg ihr alles genommen, wie konnte der Feind so grausam sein und Gottes Natur und die Werke seiner Geschöpfe so brachial zerstören? Immer wieder stellte sie sich diese Frage, aber sie fand keine Antwort darauf. In ihrem Kopf hämmerte es, sie hörte die Kinder immer noch wimmern und schreien vor Angst und ihre Äuglein benetzten sich mit Tränen. Was sollte denn jetzt aus ihr werden ohne die Eltern, ohne ein Dach über den Kopf. Mut- und kraftlos blieb sie schließlich liegen.

Langsam begann es dunkel zu werden, es mussten Stunden vergangen sein und das arme Mädchen war völlig erschöpft. „Da, da vorne ist eine kleine Holzhütte. Komm Lena, Du schaffst das, nur noch ein paar Meter, dann kannst du dich ausruhen.“ Auf einem kleinen Holzschemelchen, das jemand vor dem Eingang einer kleinen Hütte vergessen haben musste, konnte sie sich endlich von den Strapazen etwas ausruhen.

Der Mond schien in Lenas Gesicht, und nur noch vereinzelt verirrte sich eine Schneeflocke auf Lenas kleiner Stupsnase. Man konnte im Mondschein das blonde Lockenhaar schimmern sehen und ihr porzellanfarbenes Gesicht, das einer Puppe glich. Da saß nun das arme Mädchen zusammengekauert vor Kälte und Hunger. Sie hatte ihre Füße fest an sich gezogen, aber sie fror immer stärker und als ein kurzer Augenblick verstrichen war, fielen dem Mädchen die Äuglein zu und es versank in tiefem Schlaf.

Da sah sie ein wunderschönes, strahlendes Licht und sie stand inmitten einer herrlichen Wiese voll der schönsten Blumen, die einen lieblichen Duft verbreiteten. Sogleich pflückte sie eines dieser Prachtblümlein und roch mit ihrem Näschen daran. Oh, welch wunderbar herrlicher Duft, dachte sie bei sich.

In dem überirdisch anmutenden Traum herrschte Frühling und die Vögel zwitscherten und trällerten ihren herrlichsten Gesang von den Bäumen herunter. Da, dort oben auf dem Ast kam ein besonders farbenfrohes Vögelchen auf Lena zugeflogen und setzte sich auf ihre Hand. Der bunte Federfreund berührte mit seinem Gesang das Innerste des Mädchens und ihr Herzensleid über den Verlust ihrer geliebten Eltern, sowie Sorge und Kummer waren für diesen kurzen Moment verschwunden. Doch was war das? Ein alter Mann mit weißem langen Bart und goldenem Gewand kam auf sie zu. Sein strahlendes Antlitz war von einer eigenartigen Wärme umgeben, die das arme Mädchen noch nie gespürt hatte. Der alte weißgelockte Mann in seinem strahlenden Gewand streckte die Hand nach dem Mädchen aus und sagte: „Fürchte dich nicht, dein Leid und Kummer werden bald ein Ende haben. Du wirst sehen, nimm’ die kleine Flöte und spiele darauf. Du wirst mit der Melodie die Herzen der Menschen öffnen“. Der alte Mann streichelte den Kopf des Kindes und sagte: „Gottes Segen sei mit dir.“ Dann wachte das Mädchen auf und rieb sich ihre Äuglein. Doch was lag da neben ihr im glitzernden Schnee? Neugierig scharrte sie im Schnee und zum Vorschein kam eine kleine rote Flöte. Am Fußende befand sich ein wunderschönes mit goldener Farbe gemaltes Engelchen darauf. Das kleine Mädchen schaute ganz verzückt und begann sogleich auf dem prachtvollen Instrument zu spielen. Eine wunderschöne Melodie, als ob sie von Engeln geführt worden wäre, erklang und es wurde dem Mädchen ganz warm ums Herz. Von der Ferne hörte ein Ehepaar, in einem von zwei weißen Schimmeln gezogenen Schlitten sitzend, die Melodie erklingen.

„Mann, hörst du auch diese wunderschöne Musik? Bitte führe mich zu ihr.“ Noch ein paar Meter, dann sahen sie das kleine Mädchen, welches auf der Flöte spielte. „Brrrrrr, brrrrrrrr“, schrie der Mann zu seinen Pferdchen und hielt an. „Was machst du denn da im kalten Schnee?“, fragte der Mann das Kind. „Ich habe niemanden mehr. Der Krieg hat mir alles genommen. Nur diese kleine Flöte ist mein Begleiter.“ Die Augen des alten Mannes begannen sich mit Tränen zu füllen und verschämt merkte er, wie ihm eine Träne die Wange herunterkullerte. „Komm’ mit uns, wir haben zu Essen und zu Trinken und ein warmes Bettchen für dich zu Hause.“ Langsam erholte sich Lena von den Strapazen des Krieges und es begann Frühling zu werden. Draußen konnte man schon die ersten Sonnenstrahlen genießen und die Osterglocken sprossen auch schon aus der Erde. Es war ein herrlicher Frühlingstag und das kleine Mädchen saß auf der Gartenbank vor dem Hause. Sie spielte auf der kleinen roten Flöte und wieder erklang wie von Engelshand eine geführte Melodie. Viele Menschen, besonders Alte und Kranke waren wie magisch von dem Klang der kleinen Zauberflöte angezogen und sie lauschten der herrlichen Musik. Ihnen wurde ganz warm ums Herz und sie vergaßen ihren Schmerz und ihre Sorgen. Lena ermutigte so viele Menschen, die schon keine Hoffnung mehr hatten und vom Schicksal schwer geplagt waren.

Das kam auch einem Jungen zu Ohren, der voller Neid auf Lena blickte. „Ich muss diese Flöte haben, koste es was es wolle“, dachte er bei sich. Eines Abends schlich er sich zum Hause des Mädchens und er öffnete vorsichtig die Türe. Da saßen der alte Mann mit seiner Frau und dem Kind am Tisch und aßen zu Abend. Das Herz des Diebes klopfte bis zum Halse. Aufgeregt ließ er seine Augen durch den Flur gleiten. Da, dort vorne auf der Konsole lag das gute Stück. Leise schlich er sich durch den Flur und schwupps verschwand das Prachtexemplar in seiner Jackentasche. „Haha“, lachte der Junge insgeheim, „jetzt gehörst du mir“. Am nächsten Tag stand der Junge am Marktplatz und hatte ein Körbchen vor sich aufgestellt, in dem die Leute ihr Geld hineinwerfen sollten. Und er schrie: „Hey, ihr Leute, hört, das ist eine Zauberflöte, ihr werdet all’ Euer Leid und Euren Kummer vergessen. Ihr werdet nur noch glücklich und fröhlich sein. Seht und hört.“

Rasch versammelte sich eine Menschenmenge. Jeder drängelte sich nach vorne. „Komm’ schon, spiele endlich. Ich will die Zauberflöte hören“, rief eine alte Frau. Der Junge prahlte und brüstete sich und setzte seine Lippen an das Mundstück des Instrumentes und begann zu spielen. Aber was war das? Es erklangen furchtbare Töne und eine grauenvolle Musik. Die Leute ergriffen fluchtartig den Platz und beschimpften ihn. Das Mädchen aber wollte Gemüse auf dem Markt kauften und wunderte sich, warum die Menschen voller Panik davonrannten. Da sah sie den Jungen. Entsetzt schaute er auf die Flöte und wutentbrannt schmiss er sie zu Boden. „Du blödes Ding“, schrie er. Doch die Flöte blieb glücklicherweise unbeschadet. Lena hob ihr geliebtes Musikinstrument auf und sagte zu dem jungen Burschen: „Warum hast du das getan?“ Der Junge erwiderte ihr: „Niemand mag mich, ich bin arm und hässlich. Und jeder verachtet mich. Ich dachte, mit der Flöte würde man mich einmal im Leben mögen“. Das Mädchen aber empfand Mitleid mit dem Jungen und sprach: „Ich verzeihe dir.“ Sie reichte dem Jungen die Hand und er begann zu weinen. Nun spielte sie für ihn und der traurige Ausdruck in seinen Augen begann allmählich zu verschwinden. Die Menschen aber öffneten plötzlich ihr Herz für den Jungen und sahen nicht sein hässliches Antlitz sondern ihn als menschliches Wesen. Lena freute sich darüber, und sie wurden Freunde bis ans Ende ihres Lebens.

Altes chinesisches Sprichwort, welches im Buch als Gedicht zu finden ist:

Gönne dir einen Augenblick des Friedens, und du wirst begreifen, wie unsinnig es war, dich abzuhetzen.                                            

Lerne zu schweigen, und du wirst feststellen, dass du zu viel geredet hast.

Sei gütig, und du wirst merken, dass du zu streng über andere geurteilt hast.

»Dieses sympathische Buch hilft uns, offenen Herzens zu bleiben, klar und gelassen – auch wenn sich Menschen und Ereignisse gegen uns zu wenden scheinen.«, Jan Chozen Bays, Autorin von „Achtsam durch den Tag“

»Wahrlich einzigartig: Zwei zeitgenössische buddhistische Meister erzählen, wie sie Missgeschicke als Sprungbrett benutzen, um Frieden und Glück zu finden. Ich liebe dieses Buch und empfehle es äußerst gern.«, Toni Bernhard, Autorin von „Das wird schon wieder?“

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Nicht Achtsamkeit allein, sondern »liebevolle Achtsamkeit« ist laut Ajahn Brahm der Schlüssel zu einem erfüllten, friedvollen Leben: Indem wir uns voller Mitgefühl mit uns selbst und unseren Mitmenschen verbinden, öffnet sich die Tür zu unserem Herzen. Wir erfahren dabei die grenzenlosen Möglichkeiten des gegenwärtigen Augenblicks und entwickeln eine innere Kraft, die nach außen strahlt und Gutes in die Welt bringt. Wie wir diese Geisteshaltung der liebevollen Achtsamkeit in uns entfalten können, zeigt der weltbekannte buddhistische Mönch auf einzigartige Weise: in klarer, alltagsnaher Sprache, gewürzt mit seinem sanften, unverwechselbaren Humor und illustriert durch sechs der berührendsten Geschichten aus seinen Bestsellern „Die Kuh, die weinte“ und „Der Elefant, der das Glück vergaß“.